Schoenheit der Weg des Fuehlenden zum Geiste,--nur der Weg, ein Mittel
nur, kleiner Phaidros... Und dann sprach er das Feinste aus, der
verschlagene Hofmacher: Dies, dass der Liebende goettlicher sei, als der
Geliebte, weil in jenem der Gott sei nicht aber im andern,--diesen
zaertlichsten, spoettischsten Gedanken vielleicht, der jemals gedacht
ward, und dem alle Schalkheit und heimlichste Wollust der Sehnsucht
entspringt. Glueck des Schriftstellers ist der Gedanke, der ganz
Gefuehl, ist das Gefuehl, das ganz Gedanke zu werden vermag. Solch ein
pulsender Gedanke, solch genaues Gefuehl gehoerte und gehorchte dem
Einsamen damals: naemlich, dass die Natur vor Wonne erschaure, wenn der
Geist sich huldigend vor der Schoenheit neige. Er wuenschte ploetzlich,
zu schreiben. Zwar liebt Eros, heisst es, den Muessiggang, und fuer
solchen nur ist er geschaffen. Aber an diesem Punkte der Krisis war
die Erregung des Heimgesuchten auf Produktion gerichtet. Fast
gleichgueltig der Anlass. Eine Frage, eine Anregung, ueber ein gewisses
grosses und brennendes Problem der Kultur und des Geschmackes sich
bekennend vernehmen zu lassen, war in die geistige Welt ergangen und
bei dem Verreisten eingelaufen. Der Gegenstand war ihm gelaeufig, war
ihm Erlebnis; sein Geluest, ihn im Licht seines Wortes erglaenzen zu
lassen, auf einmal unwiderstehlich. Und zwar ging sein Verlangen
dahin, in Tadzios Gegenwart zu arbeiten, beim Schreiben den Wuchs des
Knaben zum Muster zu nehmen, seinen Stil den Linien dieses Koerpers
folgen zu lassen, der ihm goettlich schien, und seine Schoenheit ins
Geistige zu tragen, wie der Adler einst den troischen Hirten zum Aether
trug. Nie hatte er die Lust des Wortes suesser empfunden, nie so gewusst,
dass Eros im Worte sei, wie waehrend der gefaehrlich koestlichen Stunden,
in denen er, an seinem rohen Tische unter dem Schattentuch, im
Angesicht des Idols und die Musik seiner Stimme im Ohr, nach Tadzios
Schoenheit seine kleine Abhandlung,--jene anderthalb Seiten erlesener
Prosa formte, deren Lauterkeit, Adel und schwingende Gefuehlsspannung
binnen kurzem die Bewunderung vieler erregen sollte. Es ist sicher
gut, dass die Welt nur das schoene Werk, nicht auch seine Urspruenge,
nicht seine Entstehungsbedingungen kennt; denn die Kenntnis der
Quellen, aus denen dem Kuenstler Eingebung floss, wuerde sie oftmals
verwirren, abschrecken und so die Wirkungen des Vortrefflichen
aufheben. Sonderbare Stunden! Sonderbar entnervende Muehe! Seltsam
zeugender Verkehr des Geistes mit einem Koerper! Als Aschenbach seine
Arbeit verwahrte und vom Strande aufbrach, fuehlte er sich erschoepft,
ja zerruettet, und ihm war, als ob sein Gewissen wie nach einer
Ausschweifung Klage fuehre.
Es war am folgenden Morgen, dass er, im Begriff das Hotel zu verlassen,
von der Freitreppe aus gewahrte, wie Tadzio, schon unterwegs zum
Meere--und zwar allein,--sich eben der Strandsperre naeherte. Der
Wunsch, der einfache Gedanke, die Gelegenheit zu nutzen und mit dem,
der ihm unwissentlich so viel Erhebung und Bewegung bereitet, leichte,
heitere Bekanntschaft zu machen, ihn anzureden, sich seiner Antwort,
seines Blickes zu erfreuen, lag nahe und draengte sich auf. Der Schoene
ging schlendernd, er war einzuholen, und Aschenbach beschleunigte
seine Schritte. Er erreicht ihn auf dem Brettersteig hinter den
Huetten, er will ihm die Hand aufs Haupt, auf die Schulter legen und
irgend ein Wort, eine freundliche franzoesische Phrase schwebt ihm auf
den Lippen: da fuehlt er, dass sein Herz, vielleicht auch vom schnellen
Gang, wie ein Hammer schlaegt, dass er, so knapp bei Atem, nur gepresst
und bebend wird sprechen koennen; er zoegert, er sucht sich zu
beherrschen, er fuerchtet ploetzlich, schon zu lange dicht hinter dem
Schoenen zu gehen, fuerchtet sein Aufmerksamwerden, sein fragendes
Umschauen, nimmt noch einen Anlauf, versagt, verzichtet und geht
gesenkten Hauptes vorueber.